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Elmar M. Lorey
Das Verblassen derWerwolfsage
Am Beispiel einer Überlieferung aus Koblenz

Der Werwolf ist eine komplizierte Sagenfigur, die fast überall in Europa verbreitet ist. Sie zeigt unter anderem auch deshalb so viele Varianten, weil sie aus den unterschiedlichsten Quellen schöpft, aus der hellenistischen Antike, der germanischen und nordischen Mythenwelt oder aus der osteuropäischen Tradition des Schamanismus. Eine spezielle und späte Variante entstand unter dem Einfluß der gelehrten Hexentheorie und der von ihr geprägten  Hexenverfolgung, die vom 15. bis ins 18. Jahrhundert (Spätfälle) reichte.

Ein aufschlußreiches Beispiel für die Wandlungen und das allmähliche Verschwinden, denen gerade dieser letzte Variante der Werwolfsage im Laufe der Zeit unterliegt, findet sich in einer Folge von Episoden, die sich um das Plateau der Koblenzer Kartause ranken. Ehemals erreichte man diese kleine Hochfläche südwestlich vom alten Stadtkern über einen Hohlweg, der zur Kartause St. Beatusberg und dem im Südostteil gelegenen Kartäuser Hof führte. Mit dem Übergang in preußische Verwaltung, unter der seit 1814 rund um Koblenz neue Befestigungsanlagen entstehen, erwarb der preußische Militärfiskus dieses Gelände zum Bau der neuen Feste Alexander, die auf Grund des Versailler Vertrages wieder geschleift wurde. Anfang des 20. Jhdts. diente das Gelände als Flugplatz und seit 1964 entstand dort das neue Stadtviertel Koblenz-Karthause.
Hier also ist der Handlungsort der folgenden Episoden.

(Weitere Informationen und Bilder über diesen Ort und seine Geschichte
findet man auf der Seite von Ortwin Reich   http://www.oreich.de )

In den folgenden 3 Kapiteln geht es um:
1. Einführende Hinweise und Bemerkungen
zu diesen Sagen und ihrer Überlieferung.
2. Der Werwolf an der Kartause
Die Version von Paul Zaunert aus dem Jahr 1924.
3. Der Werwolf von Godramstein
Die Originalversion aus Ch. Strambergs „Rheinischer Antiquarius" von 1851,
aus der der Sagenforscher Zaunert seine Version von 1924 zusammengestellt hat.


1. Bemerkungen und Hinweise
1.1 Die Überlieferung
Einige der volkstümlichen Episoden und Sagen, die um dieses Gebiet, insbesondere um den zum Plateau aufsteigenden Hohlweg, entstanden sind, hat Christian Stramberg (1785-1868) in seinem „Rheinischen Antiquarius" überliefert; eine Quelle, die lange Zeit wegen „ihrem völlig unübersichtlichen, nach Lust, Laune und Gelegenheit zusammengetragenen Material", wie Zaunert sagt (1), unter ernsthaften Forschern wenig Freunde fand. Vor allem die willkürliche, man könnte sagen verdeckte, Nutzung seiner Quellen, die der ansonsten überaus fleißige Autor nur selten namhaft macht, brachte jenen, die seinen verschlungenen Pfaden nachzuforschen suchten, so großen Verdruß, daß Strambergs dickleibiges Werk von 37 Bänden  kaum wissenschaftliche Ehre zuteil wurde.

Als der Sagenforscher Paul Zaunert 1924 seine zweibändigen „Rhein Sagen" erscheinen ließ, griff er gleichwohl auf Strambergs Sammlung zurück, nicht zuletzt weil dort, wie er seine Entscheidung begründete, „eine Reihe charakteristischer Sagen zutage" trat, bei denen „er aus Quellen schöpft, die für uns nicht mehr zugänglich sind".(2) Wohl nicht ganz zu Unrecht räumte er damit dem Koblenzer Bürger Stramberg die gleiche Authentizität und Verläßlichkeit ein, die Sagenforscher im 19. Jahrhundert gemeinhin auch dem „einfachen Volkserzähler" oder sagensammelnden Volksschullehrern zubilligten. Unter dem Titel „Der Werwolf an der Kartause" erschienen die vier zeitlich aufeinander geschichteten Episoden im zweiten Band von Zaunerts „Rheinland Sagen" und fortan galt der reputierliche Sagensammler vom Anfang des 20. Jahrhunderts als eigentlicher Gewährsmann für diese Koblenzer Überlieferung - beispielsweise in Bächthold-Stäublis „Lexikon des Deutschen Aberglaubens" unter dem Stichwort Wolf wird er allein fast ein halbes Dutzend mal als Beleg genannt - obwohl Zaunert selbst seine Quelle keineswegs verschwiegen hatte.

Für das lohnende Experiment eines Textvergleiches werden im folgenden beide Versionen wiedergegeben: Zaunerts komprimierte Fassung hat den Vorteil, daß sie schon bei erster Lektüre die Struktur der Episoden durchsichtig macht, die in vier Etappen vom Jahr 1818/20 über die Jahre 1777 und 1664 auf die Ausgangsgeschichte aus dem Jahr 1632 zurück führen und damit nahezu zwei Jahrhunderte durchqueren. Strambergs Version (3) allerdings zeigt trotz aller Weitschweifigkeit und wegen der - offensichtlich auch an schriftlichen Quellen orientierten - umständlichen Erzählweise einen Detailreichtum, der bei Zaunerts Komprimierungsarbeit notwendig auf der Strecke bleiben mußte. So ist beispielsweise schon bei der Eingangsepisode bemerkenswert, daß Stramberg sich auf einen Augenzeugen, einen ihm persönlich bekannten  Berichterstatter, stützt, der Selbsterlebtes erzählt. In der Episode von 1664 zitiert er eine Klosterrechnung dieses Jahres und bei der ältesten der vier Episoden, die in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielt, ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß sich Stramberg auf chronikalische Quellen stützt, die womöglich auf Berichte der drei Soldaten aus der Einheit des in spanischen Diensten stehenden Generalwachtmeisters Merode zurückgehen, die das fatale Gefecht um die Kartause im Jahre 1632 überlebt hatten.

1.2 Der verblassende Werwolf
Ausgangspunkt der in vier Schichten aufeinander gestapelten Episoden ist in der Tat eine veritable Werwolfgeschichte aus den Tagen der schwedischen Belagerung von Koblenz im Jahre 1632. Sie enthält wesentliche Elemente des „modernen Werwolfs", wie Roeck (4) die hexerisch kontaminierte Variante nennt. An anderer Stelle ist ausführlich dargestellt, wie die Vorstellung vom Werwolf unter dem Einfluß der gelehrten Hexentheorie verändert und in den Prozessen vor Gericht verhandelt wurde. Dabei waren zahlreiche Momente der früheren, älteren Form getilgt worden. (5) Verschwunden waren beispielsweise die Periodizität der Metamorphose, die Kollektivität des Werwolflaufens und die Unfreiwilligkeit der Verwandlung (durch fremden Zauber, Fluch, falsche Taufe oder durch die Geburt als siebtes Kind). Auch die sogenannte Zeichenübertragung, (der Zurückverwandelte wird an der Verletzung erkannt, die ihm in Tiergestalt beigebracht worden war) spielte bei den gerichtlichen Verfahren kaum eine Rolle. In einzelnen Fällen wandert später dieses Motiv allerdings wieder in Sagen ein, die ansonsten deutliche Spuren der Hexenkontaminierung tragen.  Die Links in [] führen jeweils zur Stramberg-Version Strambergs „Wärwolf von Godramstein" [Episode d] erhält die Fähigkeit zur Verwandlung allein durch den Teufelspackt. Selbst ein dingliches Hilfsmittel wie Gürtel, Salbe oder Fell fehlt. Der Protagonist ist zugleich der Anführer eines Diebesbande, die über magische Mittel verfügt und als schußfest ("gefroren") gilt. Weiter ist von einem wilden Birnbaum die Rede, der, so Stramberg, „in den Schriften als des Zauberers Baum figuriert". Neben einer nicht spezifizierten Anzahl von Tötungsdelikten werden dem Werwolf vor allem die Morde an „zwölf Mädchen" zugeschrieben, die er zudem auch noch „gefressen" haben soll. Hier hören wir womöglich den Nachhall jenes spektakulären Köln/Bedburger Verfahrens gegen Peter Stump vom Jahre 1589, dessen große publizistische Verbreitung die Vorstellung vom hexerischen Werwolf nicht nur in der Rheinregion nachhaltig geprägt hat. (6)

Dennoch ist auch diese Episode nicht ganz ungebrochen. Es gibt erste Spuren von Rationalisierungsversuchen, wie etwa die Ableitung der Werwolfexistenz vom Eigennamen des Protagonisten Johannes Wolf, für die sich auch unter den gerichtlich belegten Werwolfprozessen einzelne Beispiele finden lassen.(7) Andererseits muß an dieser Stelle  festgehalten werden, daß im Rahmen der Hexenprozesse in der Koblenzer Gegend, wo allein im Jahre 1629 nicht weniger als 24 Männer und Frauen hingerichtet wurden (8), kein Verfahren bekannt geworden ist, bei dem der Werwolf-Vorwurf eine Rolle gespielt hätte.

Die nächste Schicht in der chronologisch aufsteigenden Linie bildet die Episode [Episode c] vom Kartäuserpater Vincentius aus dem Jahre 1664. Wegen der unerlaubten Überschreitung der Klausurgrenzen wird er von einem „ungeheuren Wolf" bedrängt, ein Ereignis, durch das er nicht nur in Angst und Schrecken versetzt wird und in klösterliche Bestrafung gerät. Er stürzt auch in schwere Krankheit, von der ihn allein der Wetzlarer Scharfrichter mit einem gebratenen Wolfsherzen zu befreien vermag. Von einem verwandelten Menschenwolf ("Wärwolf") ist hier nur noch am Rande die Rede, wenn auch die satanischen Untertöne bei der Schilderung der spukhaften Begegnung nicht zu überhören sind.

Es ist gewissermaßen die erste Schwundstufe, in der sich der ehemalige Werwolf unter dem aufklärerischen Blick allmählich in einen Plagegeist verwandelt. Der Glaube an die Metamorphose von Mensch zu Tier, mit oder ohne Mithilfe des Satans, stellt zunehmend höhere Anforderungen an die Zuhörer, die immer häufiger mit dem rationalistischen Denkmodell der neuen Zeit konfrontiert sind. (9) Im Gegensatz zur Hexensage, die auch nach dem Abklingen der Hexenverfolgung relativ stabil bleibt, beginnt die Vorstellung vom verwandlungsfähigen Hexenwolf schon in jener Phase zu verblassen, in der die Verfolgung noch vielerorts in vollem Gange ist.

Zugleich sind hier noch deutliche Spuren magischer Volksmedizin erhalten geblieben. Allerdings finden die unterschiedlichen Organe des Wolfes für medizinische Zwecke, von denen schon Plinius (+ 79 n.C.) berichtet, noch weit bis ins 18. Jahrhundert die vielfältigste Verwendung. Strambergs Eingangsbemerkung zu dieser Episode, daß „von 1777 rückwärts reichlich Zeugnisse um die Existenz jenes Wärwolfs fließen", von denen er nur diejenige des Paters Vincentius anführt, macht deutlich, daß der Ort um den Hohlweg zur Kartause weitaus geschichtenträchtiger ist, als die vorliegende Kompilation vermuten läßt. (vgl. Strambergs Einleitungspassage, in der der Ort näher vorgestellt wird.)

In den beiden zeitlich folgenden Episoden von 1777 [Episode b] und 1820 [Episode a] schreitet die Psychologisierung voran. Die Begegnung des Canonicus von St. Kastor endet zwar noch mit einem veritablen Wolfsritt, womit die Geschichte verwunderlicherweise zu den Anfängen der Hexereiverfahren im 15. Jahrhundert zurückführt, bei denen der Wolf im westlichen Alpengebiet seinen ersten Auftritt hat und anfangs nur als hexerisches Reittier dient. (10) Zugleich wird er damit zum "Nur-Wolf", dessen dämonische Reste sich vor allem in seiner Ortsgebundenheit zeigen, ganz im Widerspruch zu seinem natürlichen Charakter, nach dem er als ruhelos umherstreifendes Tier gilt.

Daß Stramberg den Protagonisten seiner beiden jüngsten Episoden nicht ohne eine gewisse Skepsis gegenüber steht, wird u.a. auch in der Darstellung der Umstände deutlich, die den spukhaften Ereignissen vorausgehen. Sowohl der Geistliche von 1777 wie auch der Offizier von 1820 waren nach einem weinreichen Abend dem dunklen genius loci begegnet.

In der jüngsten Episode [a] schließlich ist auch der Zuhörer des 19. Jahrhunderts nicht mehr überfordert und in Widerspruch zu seinem aufgeklärten Weltbild gebracht. Andernorts - wie in Frankreich oder den Niederlanden - wird der hexerische Werwolf allmählich zum erlösungsbedürftigen Opfer, vor allem aber zum Aufhocker (11), der dem nächtlichen Wanderer auf die Schultern springt, und von dem dieser sich erst an einem "bekannten" oder zumeist auch "heiligen Ort" zu befreien vermag.(12) Bei der Koblenzer Überlieferung ist der Wolf nun endgültig im Plagegeist aufgegangen. Zwar sind noch dämonische Reste aus der Vorgängersage enthalten, doch der Glaube an dieses gespenstische Wesen stellt keine besonderen Anforderungen mehr an den mehr oder weniger gebildeten Zuhörer, der sich an den Gespenstergeschichten des 19. Jahrhunderts längst zu ergötzen gewöhnt hat. An einen Plagegeist kann er glauben, die Verwandlung eines Menschen in einen Wolf hingegen hat er gelernt, als Aberglaube einzustufen. Damit hat sich das "spukhafte" Wesen, wie Stramberg nun selbst sagt,  jenem psychosomatischen Erklärungsmodell genähert, bei dem heftige, nicht zu erklärende Angst als schwerer Druck auf die linke Schulter empfunden wird.

1.3 Anmerkungen

(1) Paul Zaunert: Rheinland Sagen. Bd.I. Niederrhein bis Köln - Bergisches Land; Band II. Das Rheintal von Bonn bis Mainz - Volksglaube der Gegenwart. Jena 1924, hier: Bd.II, S. 254. In dieser Version zuletzt wieder: Konter, Hans: Der Werwolf auf der Karthause. In:Kirmes. 44 (1991), S. 33-37 und Hans-Jörg Uther (Hrsg.), Sagen der Rheinland. Bonn 1998, S.195-197
(2) ebd.
(3) (Christian Stramberg): Denkwürdiger und nützlicher Rheinischer Antiquarius, welcher die wichtigsten und angenehmsten geographischen, historischen und politischen Merkwürdigkeiten des ganzen Rheinstroms, von seinem Ausflusse in das Meer bis zu seinem Ursprunge darstellt. Von einem Nachforscher in historischen Dingen. Mittelrhein. Der II. Abtheilung 2. Band. Coblenz 1851. S. 147 - 154.
Zur Problematik von Stramberg als zuverlässigem Quellenübermittler sei hier auf die kritischen Anmerkungen von Klaus Graf in zwei Netzartikeln hingewiesen: http://www.uni-koblenz.de/~graf/ems.htm     und
http://www.uni-koblenz.de/~graf/obwes_v.htm
(4) Alfons Roeck: Der Werwolf als dämonisches Wesen im Zusammenhang mit den Plagegeistern. In: Lutz Röhrig (Hrsg.), Probleme der Sagenforschung. Freiburg i.Br. 1972 (S. 139-148), S. 140.
(5) Vgl. Elmar M. Lorey: Das Werwolfstereotyp als instabile Variante im Hexenprozeß. In: Nassauische Annalen, Jg. 112, 2001, (S.135-176), S. 168f.  http://www.elmar-lorey.de/Stereotyp.htm; ders.: Henrich der Werwolf. Eine Geschichte aus der Zeit der Hexenprozesse mit Dokumenten und Analysen. Frankfurt a.M., S. 224f.
(6) Vgl. Lorey: Das Werwolfstereotyp... S. 161;  http://www.elmar-lorey.de/Stereotyp.htm ; bei Anm. 105 und ff.
(7) Vgl. in der chronlogischen Liste der Werwolfprozesse z.B. die Fälle: 1607 Jean le Loup im Herzogtum Limburg und 1705 Paul Perwolf in der Steiermark. http://www.elmar-lorey.de/Prozesse.htm
(8) Hans Bellinghausen: 2000 Jahre Koblenz. Geschichte der Stadt am Rhein und Mosel. Boppard 1973, S.177.
(9) Vgl. Roeck a.a.O. S145; Fritz Byloff: Wolfbannerei. In: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 1/1927, (S.127-136) S. 128.
(10) Vgl. die ersten Verfahren der Liste: http://www.elmar-lorey.de/Prozesse.htm
(11) Nach Roeck war früher der Aufhocker in den Niederlanden nur gering vertreten, bei „Sagen die zwischen 1950 und 1970 an Ort und Stelle aufgeschrieben wurden, zieht die Aufhockersage mehr als 40% aller Werwolfsagen an sich". a.a.O.S. 143.
(12) Vgl. Otto Schell: Bergische Sagen. Elberfeld 1897. Unter den 13 bergischen Werwolfsagen dieser Sammlung sind allein drei ausgesprochene Aufhocker-Varianten vertreten (S. 43, 187, 473). In drei Fällen erscheint der Werwolf nur mehr als Plagegeist (S. 32, 187,473), zwei Beispiele zeigen das (ältere) Fetzenmotiv (Zeichenübertragung) (S. 30,65) und eine Sage (aus dem Ruhrtal) berichtet von einem Mädchen als Werwolf (S. 31); In den Regionen Schaumburg, Schaumburg-Lippe und Lippe entfernt sich der Aufhocker vom Werwolf in der Figur des Böxen(=Hosen)wolfs. Vgl.Thosten Strube: "... dat was en Mann, de sich en Keofell ummehänge". Betrachtungen zum Werwolfmotiv in der Niederdeutschen Erzähltradition. In: Quickborn, Jg.20 (2000),H. 4, (S.16-26), S.25.

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2. Der Werwolf an der Kartause
Die Version Paul Zaunert von 1924
[a] Eine Spukgeschichte von 1818/20 "Um das Jahr 1820 kehrte ein Offizier um Mitternacht von der Feste Alexander bei Koblenz zurück, wo er einen Kameraden besucht hatte. Der Freund hatte ihm für den Rückweg sein Pferd mitgegeben. Als er an den halbverschütteten Hohlweg kam, der zur Kartause hinaufführte, machte das Roß plötzlich einen wilden Satz und blieb dann unbeweglich mit gespreizten Vorder- und Hinterbeinen stehen. Etwa 20 Schritte vor ihm erhob sich turmhoch ein schwarzes zottiges Wesen, das mit einem Satz zum Felsen sprang und unheimlich schnell hinaufkletterte. Als der Spuck vorüber war, raste das Pferd, noch zitternd an allen Gliedern, mit seinem Reiter bis zum Quartier und hatte sich noch am folgenden Mittag nicht beruhigt.

[b] Ein Wolfritt im Jahre 1777 An der selben Stelle kam etwa 50 Jahre früher ebenfalls um Mitternacht Herr Joh. Nikolaus Keller, Kanonikus zu St. Kastor vorbei auf dem Rückwege von der Kartause, wo er mit dem Prior lange beim Wein gesessen hatte. Als er unterhalb des weißen Herrgottes (eines Wegkreuzes) war, hörte er auf einmal wildes Traben und Schnauben, und gleich darauf rannte etwas zwischen seinen Beinen hindurch; ehe er sich recht besann, saß er hoch, nicht zu Pferd, sondern zu Wolf, und das Untier macht mit ihm kehrt und jagte dem Steckenwäldchen zu immer bergan in das dichteste Holz hinein. Was da alles mit ihm geschehen, wußte er nicht mehr, die Sinne schwanden ihm. Als er wieder zu sich (S. 26) kam, saß er in der gabelförmigen Spitze einer hohen Eiche an der Brodenbach.

[c] Episode von 1664 und die Reste der Wolfmedizin Auch ein Kartäuserpater Vincenzius hatte, schon viele Jahre vorher, ein Abenteuer dort, als er eines Tages über die Grenze ging, welche die Mönche des Klosters nicht überschreiten durften. Schon nach einer Viertelstunde hatte er seinen Weg verloren und irrte bis in die Nacht hinein umher. Da kam auf einmal der Wolf und verfolgte ihn auf Schritte und Tritt, bis er endlich die Klosterpforte wieder erreicht hatte. Er erhielt für sein Vergehen die gehörige Strafe, erkrankte aber außerdem so schwer, daß kein Arzt ihm helfen konnte. Da wurde endlich der Scharfrichter von Wetzlar geholt und der verordnete ihm das Herz eines Wolfes in Butter gebraten. In der Klosterrechnung von 1664 heißt es u.a.: „Pro corde alicuius lupi ad usum fr. Vincentii 8 alb „ (für das Herz eines Wolfes, das der Bruder Vincentius brauchte, 8 Weißpfennige).

[d] Kontaminierte Werwolfepisode aus dem Jahr 1632 Dieses Wolfsgespenst spukte schon seit dem Dreißigjährigen Kriege. Als im Juni 1632 die Schweden vor Koblenz erschienen, lagen auf der Kartause 60 Merodische Musketiere unter dem Leutnant Peter Junglas. Die Klosterbrüder aber waren außer dem Pater Schaffner und zwei anderen nach der Stadt gezogen. Die Schweden suchten die Kartause zu stürmen, wurden aber dreimal zurückgeschlagen. Da traf den Leutnant Junglas eine Kanonenkugel; und gerade in dem Augenblick wurden die Verteidiger auch im Rücken angegriffen. Es war ein gefürchteter Schnapphahn der Gegend, Steine Gehannes, auch der Werwolf von Godramstein genannt, der mit seiner Bande durch die Weinberge hinauf in den Klostergarten gestiegen war und den Schweden half, die Besatzung, die sich tapfer wehrte, niederzumachen. Den Pater Schaffner erschlug er selber mit einem Hellebardenschaft und die anderen beiden Kartäuser wurden im Priorat hingeschlachtet. Als sie alle Menschen, die sie fanden, totgeschlagen hatten, verlangten die Schnapphähne auch ihren Anteil an der Beute. Da gab's bald böse Worte und die Schweden fielen über die Räuber her; sie fochten tapfer, mußten aber der Übermacht erliegen. Weil man sie für gefroren (d.h. fest gegen Hieb und Schuß) hielt, so wurden sie mit Kolben totgeschlagen. Ihren Hauptmann und noch einige von der Bande stürzte man den Felsen hinab. Noch im Sturz hielt er im linken Arm einen Topf mit Geld; in der Rechten ein Stück seiner Hellebarde. Sechs Männer und zwei Weiber von der Bande wurden lebendig gefangen und gefoltert. Sie sagten aus, der Werwolf, dessen eigentlicher Name Johannes Wolf war, habe sich dem Teufel verschrieben; hierfür die Gabe bekommen, sich nach Belieben in einen Wolf zu verwandeln. Zwölf Mädchen habe er schon erwürgt und gefressen, dazu unzählige andere Mord-
 (S. 27) und Freveltaten begangen. Bei seinen Teufelsstücken sei der Moses von Edenkoben sein Helfer gewesen, ein gefährlicher Gauner und Zauberer, noch viel schlimmer als der Werwolf; aber den hatten sie nicht gefangen. Er hatte schon vor Beginn der Schwedenschlacht das Weite gesucht. Am andern Morgen hing er an einem wilden Birnbaum nahe bei der Weißen Hohl; entweder hatten schwedische Marodeure ihn gefaßt und aufgeknüpft oder er hatte sich selbst erhängt. Dieser Birnbaum soll noch in den vierziger  Jahren des vorigen Jahrhunderts gestanden und unheimlich häßlich ausgesehen haben, auch stets später als alle anderen Bäume grün geworden und schon vor Mitte August besenkahl gewesen sein. An der Stelle aber, wo der Werwolf zerschmettert liegen blieb, soll man in neuerer Zeit einen Topf mit Geld ausgegraben haben."

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3. Der Werwolf von Godramstein
Die Originalversion aus Christian Strambergs „Rheinischer Antiquarius" von 1851

"Der Aufgang zur Karthause

Einführende Ortsbeschreibung Zum h. Kreuz zurückkehrend, steige ich von dannen auf zu der des Felsens Gipfel einnehmenden, dem h. Beatus geweihten Karthause. Ausgefüllt ist der Hohlweg, der unmittelbar zu ihr hinanführte, entfernt der sogenannte Weiße Herrgott, das Bild des Gekreuzigten, so vor dem den Eingang des Hohlweges bewachte, es überlebte aber auch auf dieser Stelle dem Menschenwerk die Sage. Genau bezeichnet sie den Standort jenes Crucifixes, zu dem in den Octobertagen 1794 ein französischer Kanonier hinanstieg, des Willens, dem Christusbilde den Kopf abzuhauen: in dem er zu einem zweiten Hiebe ausholte, beugte er sich zu weit rückwärts, er verlor das Gleichgewicht, und stürzte mit gebrochenem Genicke zu Boden, Vorläufer und Gegensatz dem frommen P. Hausen. Jahre lang hatte dieser, von dem Franciscanerkloster aus, die h. Kreuzcapelle bedient; als sie aufhörte, ihm zugänglich zu sein, konnte er von der geweiheten Stätte nimmer sich trennen. Unermüdlich durchwandelte er den engen Raum zwischen dem Weißen Herrgott und dem an des Hügels Fuß abgebildeten, unter der Last des Kreuzes erlie- (S. 148) genden Heiland, unablässig ermahnte er die Vorübergehenden zum Gebet, zur Buße, kommende Strafgerichte verkündigend, bis er eines Morgens neben dem unteren Christusbilde todt gefunden wurde. Den erstarrten Händen war kaum der Rosenkranz zu entreißen, fest hafteten die Lippen auf dem Stein, welcher des Bildes Unterlage.
Es begnügt sich aber keineswegs die Sage, des Verruchten und des Frommen Gedächtniß aufzubewahren, sie weiß auch von andern, übernatürlichen Erscheinungen zu erzählen. So geht z.B. an dem verschlossenen Hohlweg Nacht für Nacht vorbei eine schwarze Menschengestalt, die manchen schon erschreckte, um deren Identität man aber keineswegs auf dem Reinen ist. Den einen ist der Schwarze einer der älteren Bewohner des Beatusberges, Benedictiner oder Chorherr, die, wie es heißt, nicht alle eines regelmäßigen Wandels sich beflissen haben. Andere wollten in ihm einen Klosterschaffner erkennen, der, zu emsig des Hauses weltlichen Vortheil suchend, nicht selten Ungerechtigkeit übte an dürftigen Pächtern und Censiten. Viel spricht man von einem dreibeinigen Hasen, der bald durch die tollsten Sätze  die Vorübergehenden überrascht, bald unbeweglich in des Weges Mitte huckt, und nach Wohlgefallen über dessen ganze Breite sich ausstreckend, Stunden lang die Passage sperrt, denn dem langbeinigen Sterblichen ist es nicht gegeben, über diesen niedrigen Dreibeiner auszuschreiten. Deshalb ist es auch keineswegs ausgemacht, daß dieser und der in der nahen Tiefe sein Wesen treibende Hase eine und dieselbe Persönlichkeit.

[a] Ein Augenzeugenbericht von 1818/20 Mit dem Allen ist in keiner Weise vergleichbar, was auf derselben Stelle einem meiner Freunde, einem gleich unerschrockenen und verständigen Officier, 1819 oder 1820 begegnete, und ich mit seinen eigenen Worten wiedergebe. „Gemeinschaftlich mit N. habe ich, wie Sie wissen, die Feste Alexander erbauet, und hat die in Folge dieser Gemeinschaft zwischen uns enger geschürzte Cameradschaft durch meinen Dienstaustritt keine Beeinträchtigung erlitten. Einstens hatte ich den Freund, dem innerhalb der Feste Quartier angewiesen, besucht, auch mit ihm Abendbrod gegessen. Viel länger, als ich vermeinet, verweilten wir bei Scherz und (S. 149) Wein, und die Mitternacht war gekommen, bevor ich nach Hut und Handschuh suchte. Nein, sprach N., die Nacht ist keines Menschen Freund, zu Fuß entlasse ich dich nicht, gesattelt steht mein Rappe, der mag zur Stadt dich tragen. Das Anerbieten kam mir nicht unerwünscht, wohlgemuth bestieg ich den Gaul, wohlgemuth jagte ich den Berg hinab. Die letzte Kehr hatte ich gemacht, erreicht beinahe den halb verschütteten Pfad, der zu dem Karthäuserkloster hinanführt, da machte der Rappe urplötzlich einen Satz nach des Weges Rand, einen Satz, um den noch heute alle meine Haare sich sträuben. Ungezweifelt sollten Roß und Reiter am Morgen stückweise in der Tiefe zusammengelesen worden sein, hätte nicht eine Art von Ohnmacht den Gaul gelähmt: weit auseinander trieb sie ihm die langgestreckten Vorderbeine, und nicht minder mögen die Hinterbeine sich gedehnt haben, denn beinahe dem Boden gleich befand ich mich im Sattel. Und ein zwanzig Schritte vor mir erhob sich thurmhoch ein schwarzes, zottiges Wesen, mit einem Satz gelangte das von der Straße zum Felsen, um in unbegreiflicher Behendigkeit die Spitze zu erklettern, wie ich das bei dem hellen Mondschein sehr deutlich wahrnehmen konnte. Vorübergebrauset war nicht sobald der Spuk, und der Gaul erwachte aus seiner Ohnmacht: zitternd an allen Gliedern begann er eine Carriere, dergleichen ich nie gemacht, und im Augenblick war mein Quartier erreicht. Zu Stalle ließ ich den Rappen bringen, in warme Decken ihn einschlagen, denn jetzt begann in Strömen der Schweiß sich zu ergießen, aber zur Ruhe war das Thier nicht zu bringen. Bis zum hellen Mittag verharrte es in seiner fieberhaften Aufregung. Was mag das wohl für ein Ungeheuer gewesen sein, so zu dem Allen die Veranlassung?"

[b] Ein Wolfritt im Jahre 1777 Die Frage ließ ich unbeantwortet, der Bericht war mir aber willkommen, sintemalen die letzte Nachricht von dem Wärwolf, die mir zugänglich, dem J. 1777 angehört. Damals, um Martini, war Hr. Johann Nicolaus Köller, Canonicus zu St. Castor, auf der Karthause bei dem P. Prior, dem frommen und liebenswürdigen Hermann Bamberger, zu Besuch gewesen, und hatte, einigermaßen angetrunken, in ziemlich vorgerückter Dämmerung den (S. 150) Heimweg angetreten, als er, unterhalb des Weißen Herrgottes, ein stürmisches Trabben und heftiges Schnauben vernahm, gleich darauf aber zwischen seinen Beinen ein gewaltsames Eindringen verspürte. Bevor er recht zur Besinnung kommen können, saß er hoch, nicht zu Gaul, sondern zu Wolf, und besagter Wolf wendete sich mit ihm, jagte dem Steckenwäldchen zu, dann den Berg hinan, und vertiefte sich endlich mit einem Reiter in den dichtesten Wald. Hören und Sehen, alle Sinne überhaupt, waren gleich Anfangs dem armen Canonicus vergangen, Erinnerungen von dem nächtlichen Ritt sind ihm keine, außer den unzähligen Wundmalen, so das Zusammentreffen mit Aesten und Zweigen ihm hinterlassen, geblieben, als er sich wiederfand, saß er in der gabelförmigen Spitze der höchsten Eiche an der Brodenbach. Es dauerte sehr lange, bis sein klägliches Hülfegeschrei einige Neugierige herbeizog, und diese, gelähmt anfänglich durch den Schrecken und die unerwartete Begebniß, sich entschließen konnten, Hand anzulegen, um den Reiter wider Willen aus seiner unbequemen und gefährlichen Lage zu befreien.

[c] Episode von 1664 und die Reste der Wolfmedizin Von 1777 rückwärts fließen aber reichlich Zeugnisse um die Existenz jenes Wärwolfes, von denen ich doch nur eines, das P. Vincentius anführen will. Ueber den war im Laufe des täglichen Spazierganges eine Versuchung gekommen, die den Karthäusern gesteckte Grenze, heutzutage noch auf einigen Punkten durch die mit dem geheimnißvollen Tau bezeichneten Steine erkennbar, zu überschreiten. Nur ein Viertelstündchen weit hatte er sich verlaufen wollen, aus den Minuten wurden aber, in einer dem P. Vincentius unerklärbaren Weise, Viertelstunden, und vollständig hatte er seinen Weg verloren, als die Nacht mit ihren Schrecknissen und mit einer ihm eben so unerwünschten als peinlichen Begleitung eintrat. Ein ungeheurer Wolf drängte sich an ihn heran, verfolgte ihn auf Schritt und Tritt, wich nicht von ihm, bis endlich die Klosterpforte erreicht. Seiner Sünde und der verdienten Folgen hat der Pater sich alsbald angeklagt: er erlitt eine dem Vergehen angemessene Strafe, verfiel aber zum Ueberfluß in schwere Krankheit, in ein kaltes Fieber, so keines Arztes Kunst zu heben vermocht. Da wurde endlich der (S. 151) Scharfrichter von Wetzlar gerufen, und der verordnete als das zuverlässigste Mittel, das Herz eines Wolfes in Butter gebraten. Deshalb heißt es in der Klosterrechnung von 1664: „pro corde alicuius lupi ad usum F. Vincentii, 8 Alb." Wie die Speise dem Kranken bekommen ist, weiß ich nicht, aber die Sage von dem Wärwolf bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen, das ist mir gegeben.

[d] Kontaminierte Werwolfepisode aus dem Jahr 1632 Bekanntlich erschien die schwedische Armee unter Horn im Juni 1632 vor Coblenz so unerwartet, daß kaum an Widerstand zu denken. Namentlich wurden einzelne Detachements von dem Feinde aufgehoben, oder, wie es die Sprache der Zeit nannte, in ihren Quartieren aufgeschlagen. Ein solches Detachement, von 60 Merodischen Musketieren, unter des Lieutenants Peter Junglas Befehle, lag auf der Karthause, deren Eingenthümer, dem Besuche Raum zu gönnen, nach dem Vogelsang in der Stadt verzogen waren, einzig den Schaffner und zwei andere Patres zurücklassend. Durch der Schweden erste Demonstration nach der Ebene hin wurde der Karthause jede Verbindung mit der Stadt abgeschnitten. Auf seine eigenen Kräfte beschränkt, ohne Verhaltungsregeln, beschloß Junglas, so theuer wie möglich das Leben zu verkaufen: Accord wurde ihm nicht geboten, ihn zu suchen, fiel ihm nicht ein. An den engen Fenstern der Oeconomiegebäude hatte er seine Schützen aufgestellt, fest verrammelt war die Pforte, im Hofe eine Reserve, darunter des Klosters drei Knechte, aufgestellt. Nicht lange ließ der Angriff sich erwarten, lange währte es aber, bevor die Schweden eine Kanone dergestalten aufzuführen vermochten, daß damit das Thor zu bestreichen. Ueber dem Versuche, das Geschütz heranzuziehen, wurden aus den Fenstern ihre kühnsten Streiter erschossen. Gepflanzt war endlich die Kanone, niedergeworfen das Thor, und ein ganzes Fähnlein lief zum Sturm, der, grimmig und hartnäckig, doch an dem unerschütterlichen Widerstand sich brechen mußte. Ein zweiter, ein dritter Sturm, jedesmal mit frischem Volk unternommen, lief gleich fruchtlos ab, Junglas, seines Erfolges froh, warf die Muskete zur Seite, um Hand anzulegen bei dem abermaligen Verrammeln des Thores, und in dem Augenblick riß eine Kanonenkugel ihm den (S. 152) Kopf weg, während zugleich ein neuer Feind das durch den Fall des Anführers entmuthigte Häuflein der Vertheidiger im Rücken faßte. Es fielen der Merodischen beste Leute, es fielen die mehrsten der treulich zu ihm haltenden Klosterknechte, und bald wurde der Vorhof, der Kreuzgang, die Kirche von den vom Thore einbrechenden Scharen, Fußvolk und Reiter durcheinander, und von dem von der anderen Seite hergekommenen Feinde überflutet; fort dauerte in den Räumen der Wirthschafsgebäude der Widerstand. Jede Stube war eine Festung geworden, die mit Sturm zu nehmen, und kein in den Stuben betroffenes lebendes Wesen fand Gnade bei dem Sieger. Dem P. Schaffner schlug ein Kerl, der kein Soldat, mit dem Schaft einer Hellebarde in der Kirche den Schädel ein, die beiden anderen Karthäuser wurden in dem Priorat ganz eigentlich geschlachtet. Drei Soldaten, von einem des Hauses durchaus kundigen Knaben geführt, entkamen durch die Latrine.

Abgelaufen war die Mordnacht auf der Karthause erste Hälfte, zur Aufführung kam der Tragödie zweiter Theil. Jene Hülfstruppen, welche durch die Weinberge zum Garten aufgestiegen, urplötzlich die Vertheidiger im Rücken faßten, und hiermit den Fall des Platzes entschieden, waren keine Schweden, sondern Schnapphahne, die Bande des fürchterlichen steine Gehannes, auch der Wärwolf von Godramstein, und eigentlich Johannes Wolf genannt. Mit seiner Bande lag er bei dem Spieß, als die Kunde ihm kam von der Schweden Unternehmen gegen Coblenz, und das auszubeuten, begab er sich alsbald auf den Weg. Im Vorbeigehen hatte er dem wohlhabenden Kloster in der Höhe einen Besuch zugedacht, der führte zu jener Mordnacht, die aber für die Schnapphahne gar zu lang werden sollte. Denn als sie den Reichthum in dem gewonnen Kloster erblickten, begehrten sie von der Beute ihren Antheil: aber mit Bönhasen zu theilen, weigerten sich der Schweden Officiere und Gemeine, spitze Worte trafen auf grobe Gegenrede, und bald verwandelte sich der Zungen Schlacht in ein blutiges Gefecht, in dem Löwen gleich die Schnapphahne fechten, doch endlich samt und sonders der stets anschwellenden Uebermacht
(S. 153) erliegen mußten. Sie wurden, weil man sie im Allgemeinen für gefroren hielt, mit Kolben erschlagen, zum Theil noch halb lebendig, über die Felsen hinabgestürzt. Das ist namentlich dem Anführer geschehen: bei seinem Sturz trug er im linken Arm einen Topf, mit der rechten Hand faßte er noch ein Stück der Hellebarde, mit welcher er dem P. Schaffner den Schädel einschlug, und die bis zum letzten Augenblick eine fürchterliche Waffe ihm gewesen. Von der Bande fielen doch sechs Männer und zwei Weiber den Schweden lebend in die Hände, und wurden der Gegenstand einer Procedur, die mit argen Greueln des Wolf von Godramstein Andenken belastete. So war, diesen Aussagen zufolge, die Benennung Wärwolf dem eigentlichen Gewerbe des Mannes entlehnt: er hatte sich dem Teufel verschrieben und dafür die nicht beneidenswerte Gabe erlangt, nach Wohlgefallen eines Wolfes Gestalt anzunehmen, mit seinen Zähnen und Klauen zerreißen und verschlingen zu können jeden, der nicht stark genug, seiner sich zu erwehren. An die zwölf Mädchen, denn nach deren Fleisch belüstet er am mehrsten, soll er gewürgt und gefressen haben, der unzähligen anderen Mord- und Frevelthaten zu geschweigen. Für seine Höllenpraktiken hatte ihm besonders thätig zur Seite gestanden der Moses von Edenkoben, ein eben so gefährlicher Gauner als Zauberer, viel schlimmer in jedem Betracht, als der Wärwolf, aber minder streitbar, deshalben er auch im Beginn der zweiten Schlacht das Weite gesucht hatte. Er kam bis an den Eingang der Weißen Hohl; dort fiel er entweder schwedischen Marodeurs in die Hände, die ohne Umstände an dem nächsten Baum ihn aufknüpften, oder er hat in einem Anfall von Verzweiflung Hand an sich gelegt. Am Morgen wurde er von dem wilden Birnbaum, der in Schriften als des Zauberers Baum figurierte, losgeschnitten, und ist besagter, vor wenigen Jahren nur gefällter Baum die häßlichste Erscheinung aus dem Pflanzenreiche, die ich je geschaut, gewesen, ein wahres Monstrum. Und war das nicht seine einzige Auszeichnung. Von einem Baum in den Boulevards zu Paris, den der Thaumaturg Gassner magnetisirt hatte, wird erzählt, daß er regelmäßig vier Wochen früher wie jeder andere Baum der ganzen (S. 154) Pflanzung sein Laub entfaltete, vier Wochen später wie jeder andere seinen Schmuck verlor, von dem Baum, welcher durch des Zauberers Fluch betroffen, ist genau das Gegenteil zu berichten. Er blieb stets der letzte, im Frühjahr sich zu beleben, und vor der Mitte des Augusts ward er wieder besenkahl. Über des Wärwolfs Adjutanten und Schatzmeister hätte ich beinahe vergessen, daß in jener Mordnacht die Gebäude der Karthause beinahe sämtlich eingeäschert wurden, und daß man auf der Stelle, wo des Wärwolf zerschmetterte Glieder zu Fall kamen, in der neuesten Zeit ein Topf mit Münzen ausgegraben hat."

(Sie Seitenangaben in (S. ... ) entsprechen der jeweiligen Druckvorlage.)

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© Elmar M. Lorey 2002
(02.02.)

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